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Therese Schuleit


There was a wall. It did not look important. […] An adult could look right over it, and even a child could climb it […] instead of having a gate it degenerated into mere geometry, a line, an idea of boundary. But the idea was real.*
*Ursula K. Le Guin, The Dispossessed p.1 Der Finger meines Großvaters

Ich bin die Enkelin eines ehemaligen Soldaten, der an der Französischen Front im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde. Er konnte löten und führte in einem kleinen rheinischen Dörfchen ein Haushalts- & Sanitärbetrieb. Soweit ich weiß, hat er während seines Kriegsdienstes Kommunikationskabel hinter der Front gelötet. Nachrichten waren wichtig in den Zeiten des Krieges. Weitere Details kenne ich nicht. Er selbst hat selbst nie darüber geredet.

Ihm fehlte ein Finger – es war, so meine Erinnerung, der rechte Ringfinger. Wie es dazu kam, dass der Finger fehlte, habe ich nie herausfinden können. Was ich sicher wusste: er mochte Steffi Graf und liebte es Tennis zu schauen bis er friedlich und in hohem Alter starb, als ich 12 Jahre alt war.

Das sind die einzigen persönlich Erinnerungen an einen entfernten Krieg: Das Fehlen eines Fingers an der Hand meines Großvaters.

Die Arbeit von Archiven ist eng mit der Forschung an und mit mit historischen Leerstellen verbunden. 

Die Baalbeck Tapes

Das Gebäude des Baalbeck Studios in Beirut Libanon im Stadteil Sin el Fil steht leer. Über dessen Verbleib, der Teil der libanesischen Filmgeschichte ist, wird seit Jahren diskutiert. Es ist im Privatbesitz einer Bank.

Lange Zeit standen die Räume unangetastet mitsamt ihres Equipments, bevor die Räume letztendlich geleert wurden, war der Betrieb schon längere Zeit eingestellt. Das UMAMDokumentation und Research, Beirut ist im Besitz von Teilen der Dokumente, Filmrollen und Aufnahmen und bemüht sich seitdem um dessen kostspielige Digitalisierung und Aufarbeitung. 

Unter den Stapeln von Filmmaterial befindet sich eine Kiste mit bestellten und nie benutzten Ampex Soundtape. Sie stammen aus einer Bestellung Ende der 1970er Jahre.  Dies Box warten anders als ihre Archivnachbarn nicht auf eine Entzifferung und historische Einordnung ihres Inhaltes, da die Aufzeichnungen und ihre Benutzung mutmaßlich durch die den Bürgerkrieg und die temporäre Schließung der Studios verhindert wurden. Alles, was auf diesen Tapes verzeichnet ist, ist eine mögliche Benutzung, die durch den technischen Fortschritt inzwischen hinfällig geworden ist.

Obwohl sie kein historisches Zeugnis beherbergen, nimmt nicht nur die Box, sondern auch ihr fehlender Inhalt einen Platz in der Geschichte der Baalbeck Studios ein. Sie sind Beweisstücke eines Fehlens. 

Das Radio 

Das Radio aus Beirut hing, sichtbar durch die Korrosion an seinem Gehäuse, offensichtlich längere Zeit, an einem verlassenen Haus an der Beiruter Green Linie, der ehemaligen Demarkationslinie in der Innenstadt Beiruts. Der komplette Straßenzug ist, trotz seiner Nähe zur Innenstadt, verlassen und trägt dominante Spuren der jahrelangen Kämpfe.  Das Radio hing auf Schulterhöhe rechts neben der Balkontür, die Antenne war ausgerichtet, das Kassettendeck geöffnet, als hätte jemand gerade die Kassette entfernt und wäre kurz etwas holen gegangen. 

Jemand muss das Radio mit der Intention an die Tür des Balkons gehängt haben, das, was gerade gesendet wurde, für mehrere Leute auf der seit Jahren völlig verlassenen Straße hörbar zu machen. Beim Verlassen des Hauses, muss es wichtig genug gewesen sein, das Tape zu entfernen.

Ein Radio ist kein Speicher, sondern ein reines Empfangsgerät. Ein Nachrichtenmedium über gegenwärtiges Geschehen. Seine Funktionen bis zur Digitalisierung des Radiobetriebs, sind auf die die Kommentierung und Aufbereitung in Echtzeit zugeschnitten. Eine Radiosendung kann man, durch ihre damals fehlende Speicherfunktion, nicht vor und nicht zurückspulen. Ein Radio gleicht einer Erzählung mit der Fähigkeit zur √úberbrückung von Distanzen.  

Zu hören war bis zur Digitalisierung und somit der Speicherfähigkeit von Sendungen, nur das, was genau im selben Moment auch gesendet wird. Diese Zeugnisse fehlen.

Das Tape

An einem Baum in ca. 2,5 m Höhe hing ein Tape. Es ist der zweite Baum von rechts. Die Gedenkstätte von Sabra und Schatila ist von Truthähnen bevölkert und einem Mann, der ein Fahrrad repariert und uns freundlich neugierig nachspäht. Draußen vor dem Tor ist Markt.

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Die Archivräume  der beiden Partnerarchive in Beirut, UMAM, Documentation and Research und AiF, Arab Image Foundation, haben Außenwände, die jeweils verstärkt sind durch verschiedene Maßnahmen im Ernstfall die Mauern zu schützen.

Eine Maßnahme, die an vielen Orten von Beirut zu finden ist: die meisten Bankautomaten sind zur Straße hin mit einer mit  Sandsäcken verstärkten Wand abgeschirmt, an Kreuzungen, die konstant durch das libanesische Militär bewacht werden, wird durch ähnliche Abschirmungen der Verkehr umgeleitet oder verhindert, dass Platz entsteht, an dem Autos halten können.

Das Objekt im Hinterhof des EL-DE Hauses, ist eines von vielen verschiedenen Varianten, mit denen in Beirut Sicherheitsabstände garantiert werden.  Es sind temporäre bauliche Maßnahmen, um einen möglichen Ernstfall zu lindern.

In Köln schirmt das von Therese Schuleit aus Beirut mitgebrachte Objekt, den Arbeitsplatz der Archivare des Kölner Partnerarchives des Kunst und Dokument Projekts – NS-DOK für die Zeit der Ausstellung ab.

Das Objekt trägt die Gravur der Stadt Beirut. Durch einen beiläufigen durch seine Herkunft und Beschaffenheit unmöglichen Eingriff überlagert das Objekt die Gegenwart des Kölner Archivs mit der Gegenwart Beiruts.

Das 600kg schwere Objekt, ebenso wie die Tapes und das Radio gehören mir nicht, sie sind Teil Beiruts und ebenso wie die nicht zu identifizierenden Leerstellen bringe ich sie zurück, da sie wie die vielen Archäologischen Artefakte in unseren Museum lediglich geliehen sind.


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